Positives Denken zieht Positives an. Aber was ist mit dem naiven Übersehen von Gefahren, oder Schuldgefühlen, wenn wir durch eigene Ängste andere beeinflussen – oder eben nicht, und sie nicht gewarnt haben –, weil wir positiv denken wollten?

In allen Bereichen eures Lebens liegt das Ziel irgendwo in der Mitte, ist beweglich, denn die Erde ist ein Lernfeld zwischen den Polaritäten. Die Aufgabe liegt im Wachsen durch Erfahrung und Gefühle, sowie in der Bewusstwerdung. Sobald ihr in einer Polarität verharrt, befindet ihr euch am extremen Ende und die Entwicklung steht still. Ein Gutmensch kann die Schatten nicht sehen – ein negativ orientierter nicht das Licht. Beide Pole braucht es, um die Mitte zu finden.

Mit positivem Denken ist nicht gemeint, alle Ängste von sich zu schieben oder zu verdrängen. Es bedeutet vielmehr, sich mit den Ängsten auseinander zu setzen, um zu erkennen, woran diese angebunden sind, welchen Ursprung sie haben. Sorgen und Gefahren lösen Ängste aus, um zu prüfen, ob diese überwunden oder zur Vorsicht mahnen wollen. Nicht alle Ängste sind unberechtigt. Manchmal dienen sie dem Schutz, weil eine Situation noch nicht verändert werden kann, manchmal verstecken sie sich unter der Sorge um geliebte Menschen, dann wieder wollen sie euch daran hindern, neue Wege zu gehen, weil Neues immer mit Risiko behaftet ist, oder sie entspringen einer Situation, in der ihr mit bisher unbekannten Bedrohungen konfrontiert werdet.

Angst ist an sich kein negatives, dunkles Gefühl, sondern ein Licht, das euch zum Anhalten und Nachspüren auffordert. Eine Weggabelung, bei der es zu reflektieren gilt. Wenn ihr euch diesem Prozess stellt, sei dies bei Ängsten um euch oder andere, so werdet ihr herausfinden, was ihr zu verlieren fürchtet. Sobald ihr erkennt- und auch fühlt, was eure Verlustangst beinhaltet, könnt ihr reflektieren, was ihr dadurch im Gegenzug gewinnen könntet. Dies erst führt zu einer Entscheidung, die Angst zu überwinden oder aber, mit ihr, eine berechtigte Vorsicht walten zu lassen. Durch diese Auseinandersetzung ist es euch dann im nächsten Schritt möglich, das Positive im Prozess zu fokussieren.

Das wahre positive Denken aus unserer Sicht würden wir so formulieren: Durch die Erkenntnis, was verloren und gewonnen wird, richtet ihr den Fokus auf den Gewinn für euer Sein.

Ohne diesen Prozess handelt es sich aus unserer Sicht um ein vom Willen gesteuertes Durchsetzen von (zwar positiven, aber doch nur theoretischen) Gedankenmustern, oder aber um Emotionen, die ohne nachfolgende bewusste Auseinandersetzung keinen neuen Rahmen zur Integration finden. Der extreme positiv denkende oder fühlende Gutmensch will nicht Opfer von Negativem werden, weshalb er die andere Polarität von sich schiebt.  Er sieht nicht das Positive, sondern übermalt das Ängstigende, um im vermeintlich Guten zu verweilen. Eine wachsende Mitte kann aber im Polaritätsextrem nicht erreicht werden, sondern nur dann, wenn beide Polaritäten anerkannt und gelebt werden.

Sich der Angst zu stellen, bedeutet auch, sie dort zu zeigen, wo ihr in naher Verbindung seid. Eure Vorsicht zu formulieren – in dem Sinne, dass es eure Sorge ist, und (vielleicht) nicht die Realität des geliebten Menschen – hilft euch, authentisch zu leben und die Verbindung zu festigen. Wichtig ist nur – und dies ist nach einer Reflektion, wie wir oben beschrieben haben, auch möglich – anzuerkennen, dass diese Angst an euer persönliches Erfahrungs-Universum, und nicht an das des geliebten Menschen, angebunden ist. Wenn ihr eure Ängste jedoch in nahen Beziehungen nicht kommuniziert, so entfremdet ihr euch und seid nicht mehr euch selbst. Sehr schnell wird dies beidseits unterschwellig spürbar werden und die Intimität eurer Beziehung schmälern.

Seid euch selbst, anerkennt aber auch, dass eure persönliche Realität nicht allgemeingültig ist. Inspiriert durch eure Sichtweise – aber belehrt nicht und setzt euer Gegenüber nicht unter Druck. Findet eure neue Mitte in der Beziehung und in euch dadurch, dass ihr die Mitte in und auch zwischen euch auslotet und fliessend, immer wieder neu, mit eurem gegenseitig inspirierten Wachstum festsetzt. All dies ist nur möglich, wenn ihr zeigt, wer ihr seid, was ihr fühlt und denkt.

Wenn Menschen sich hingegen ganz ihrer Angst widmen, ohne zu reflektieren, oder ohne dazu in der Lage zu sein, so haben sie keine Angst, Opfer des Negativen zu werden, sondern haben sich bereits dieser Situation ergeben. Aus ihrer Opferhaltung heraus wenden sie sich aus Verunsicherung in die Polarität und dem konstanten Angstzustand oder gar der Verachtung oder dem Hass für und gegen alle und alles zu. Sie bedürfen eurer besonderen Liebe, sind aber möglicherweise so eng mit der Schattenpolarität verbunden, dass ihr euer Licht nur energetisch und in gefühlsvollen Gedanken übermitteln könnt.

Dies ist eine besondere Herausforderung für diejenigen, die sich dem Prozess und dem echten positiven Denken widmen und andere Menschen darin unterstützen möchten. Ist die Bereitschaft da, ein hoffnungsvolles Licht zu sehen, bei betroffenen Menschen, so kann eine Umkehr in die Mitte mit Unterstützung gelingen. Für das nahe intime Umfeld hingegen bleibt oft nur die Möglichkeit, zu verstehen, nicht zu verurteilen, das positive Licht immer wieder sanft und fragend leuchten zu lassen und darauf zu vertrauen, dass jeder Mensch eine inspirierende Seele, Seelenaufgabe und einen besonderen Weg hat, der mit Freuden und Schmerzen verbunden ist.

Oft könnt ihr etwas erwecken, manchmal nicht – aber immer könnt ihr nur wirken, wenn ihr euch selbst seid. Und manchmal ist ein Negativ-Gegenüber in Wahrheit ein Geschenk, um euren eigenen Schatten zu erkennen und ihn ins Licht und eine echte positive Richtung zu bringen.

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Kommentar von Brigitte Leu |

Herzlichen Dank für diese differenzierte und erhellende Darlegung.

Was ist die Summe aus 9 und 7?