Wieso müssen traumatisierte Menschen auch noch zusätzlich Depressionen erleiden? Was können wir als nahe Mitmenschen beitragen zur Heilung?

Ihr lebt durch vielen Ebenen, die untereinander verbunden sind (Körper, Emotion, Gedanken), aber ebenso wirken Aspekte in den einzelnen Ebenen untereinander. Obwohl in dieser Vernetzung der Faktor Ursache-Wirkung zu erkennen ist, ist es doch wichtig zu wissen, dass dieser ganz individuell zum Tragen kommt, oder eben nicht. Nicht auf jede Traumatisierung folgt also eine Depression. Die Möglichkeit besteht, sie ist jedoch nicht als unabänderlicher Faktor gegeben.

Wichtig ist aus unserer Sicht, dass ihr anerkennt, dass Körper, Emotion und Gedanke sich gegenseitig beeinflussen. Im negativen Sinne kennt ihr dies. Stress kann zu Kopfschmerzen führen, und so weiter. Wir aus der geistigen Ebene finden es aber viel wichtiger, dass ihr auch wahrnehmt, dass dieser Einfluss, auch wenn er sich auch oft schmerzhaft anfühlt, eine Hilfe ist.

Bei einem Trauma – sei dies körperlicher oder emotionaler Art – schützt sich euer Gesamtsystem dadurch, dass es Ohnmacht und Schmerzen verdrängt, um die Integrität (oder das Überleben) im Moment zu gewährleisten. Dies ist eine sehr hilfreiche Funktion der Verdrängung, denn in dieser Situation kann auch nichts bearbeitet oder verändert werden. Eure Gesamtheit erkennt später, wann genügend innere Kraft vorhanden ist, um das Thema aus der Verdrängung herauszuholen.

Deshalb kann ein Trauma sich Jahre oder Jahrzehnte später emporschwingen in eurem Bewusstsein, weil euer System nun bereit ist, es zu verarbeiten. Mit «System» beschreiben wir eure Ganzheit aller Ebenen, nicht eure alltägliche vernunftmässige oder emotionale Persönlichkeit. Dieser Punkt ist sehr wichtig. Es ist nicht förderlich, diese Prozesse methodisch und gewollt mit Werkzeugen von aussen oder aus Neugierde zu erzwingen!

Manchmal öffnen sich die natürlichen Prozesse des Gesamtsystems und die Alltagspersönlichkeit ist noch nicht bereit, in die Veränderung zu gehen. Die Traumata werden bewusst und im besten Falle mit fachkundiger Unterstützung wahrgenommen und bearbeitet. Euer ganzheitliches System übernimmt die Führung zur Auflösung und Heilung. Wenn die Alltagspersönlichkeit gedanklich, emotional oder körperlich überfordert ist, hat das System die Möglichkeit, die Problematik innerhalb der Ebene in einen anderen Aspekt zu führen – oder auf eine andere Ebene. So schwierig dies auch zu verstehen sein mag, es ist eine Hilfe. Eine Hilfe dahingehend, dass ein anderer Aspekt vielleicht die Kraft aufbringt, zur Heilung beizutragen.

Zur emotionalen Belastung können körperliche Auswirkungen (eine andere Ebene) hinzukommen, um die Ernsthaftigkeit des Themas und den Zeitpunkt der Chance zur Auflösung zu betonen. Oder die Anhaftung und Angst liegt auf der emotionalen Ebene und das System geht tiefer (in derselben Ebene) in den Aspekt der Ohnmacht und Depression. Manchmal sind eine Umkehrung und Heilung nur durch den tiefsten Schmerzpunkt möglich.

All diese Vernetzungen und Möglichkeiten der Heilung (!) sind sehr individuell und können hier nur allgemein beantwortet werden von uns. Wichtig scheint uns, zu erkennen, dass Schmerz und «Verschlimmerung» nicht immer negativ sind, sondern auch Heilungsfaktoren sein können. Die sogenannte Ausbreitung ist oftmals eine Chance für einen anderen Aspekt oder eine andere Ebene des Systems, das Problem aufzulösen.

Im Umgang mit geliebten Menschen, die auf diesem Veränderungs- und Vertiefungsweg sind, wie immer sich dieser äussert, können wir euch folgenden Ratschlag geben:

Ein Prozess und Heilungsprozess finden immer im Jetzt statt. Und die Veränderung ist im Sein und nicht im Tun verankert. Im leisen inneren Wahrnehmen und nicht im aktiven äusseren Erfolg. Für euch liebende Mitbetroffene ist dies sehr schwer zu verstehen und zu handhaben.

Es ist verständlich, aber überaus kontraproduktiv, wenn ihr euch auf das Handeln oder eine Kontrolle des Erfolgs konzentriert. Dies geschieht aus eurer Angst und dem Wunsch heraus, die Situation für das Gegenüber, aber auch für euch (!), erträglicher zu machen und fördert die erneute Verdrängung ins Unbewusste. Der emotionale, körperliche und gedankliche Zustand des Betroffenen ist die Richtschnur. Seine Gesamtheit bestimmt die Bewegung in die Heilung, auch wenn es dadurch für euch schwer wird.

Seid da für eure Liebsten. Wagt euch, deren Situation empathisch nachzuempfinden, ohne Lösungsansätze, sondern nur aus dem Herzen heraus unterstützend. Versucht Freude und Liebe einzubringen, wenn immer möglich und anerkennt, dass die Heilung nicht bei euch oder in euren Vorschlägen liegt, sondern darin, durch Verständnis und Liebe und euer Da-Sein das Gegenüber zu stärken.

Es ist wichtig, dass ihr euch nicht zu sehr verknüpft in dieser Unterstützung. Du bist nicht dieser geliebte Mensch. Dein Prozess wäre vielleicht ein anderer. Es ist nicht dein Prozess, sondern du unterstützt das individuelle System dieses geliebten Menschen. Geniesse dein Leben in Fülle und gib, was du kannst. Lass los, sei da in Liebe und im Moment, auch wenn sich die Situation immer wieder verändert. Nimm deinen Fokus nicht auf deine Vorschläge, sondern höre zu, liebe, versuche zu verstehen und zu stärken.

Mehr braucht es nicht. Und das ist sehr viel Heilkraft und Unterstützung. Mitfliessen und Vertrauen in den Prozess des geliebten Menschen und seine Gesamtheit, die weiss, wo es langgeht, auch dann, wenn es schwer ist und schmerzt.

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Kommentar von Elisabeth |

Dankeschön, sehr passend, verständlich und hilfreich!

Kommentar von Silvie Schenk |

Danke, das hat mir gerade sehr geholfen.

Kommentar von Marianne |

Wunderbar in Worte gefasst - vor allem die Empfehlung zur Thematik "Umgang mit solch geliebten Menschen" ist für mich persönlich sehr hilfreich und hat mich nochmals erinnert, um was es für den betroffenen Menschen und auch uns involvierte Menschen geht. Danke herzlich.

Kommentar von Tanya |

Liebe Astrid, danke für diese hilfreiche, weise Worte!
Als Mitbetroffene macht es Sinn, "einfach" da für unsere Liebsten zu sein, die in einem solchen Veränderungsprozess sind, und deren Situation empathisch nachzuempfinden, ohne Lösungsansätze. Aber "einfach" ist es eben nicht... Als Mitbetroffene ist es schwierig zuzuschauen, wie unsere Liebsten leiden, und zwar über Monate oder gar Jahre. Wie können wir das Bedürfnis stillen, unsere Liebsten glücklich zu sehen und zu wissen, wenn dies im Moment gar nicht möglich ist? Ich vertraue in solchen Momente, dass alles für die Veränderung und die Heilung nötig ist und dass eines Tages alles gut wird, aber manchmal fehlt mir die Kraft so zu denken... Danke.

Antwort von Astrid Spirig

Ohja, liebe Tanya, das Wort «nur» wäre wohl passender gewesen, denn «einfach» ist es tatsächlich nicht. Einerseits für die Mitbetroffenen, aber auch für die Betroffenen selbst. Manchmal können die Betroffenen sogar besser mit Heilkrisen und Veränderungen umgehen als ihr liebendes Umfeld, was wiederum zusätzlich Kraft von ihnen fordert. Das ist verständlich, denn noch hilfloser als der betroffene Mensch fühlt sich der liebende Mitmensch, der sich die Prozesse vorstellen, aber nicht wirklich nachvollziehen kann. Wie du selbst erwähnst, ist auf allen Seiten an erster Stelle «Vertrauen» in die Veränderung das Wichtigste, wohin auch immer diese führen mag. Dass dieses Vertrauen nicht immer da ist, gehört zu unserem Leben und ist kein spirituelles Manko. Ohne Angst, Trauer und Zweifel können wir die Türe ins Vertrauen nicht finden, denn Vertrauen bildet sich erst durch die persönliche Erfahrung daraus hinaus. Je öfter wir diese Türe öffnen, desto kürzer werden die kraftlosen Phasen. Genau so interpretiere ich persönlich auch den Begriff «Krise als Chance». Nicht als Faktor, dass falsches Verhalten nun korrigiert wird, sondern als Veränderungsprozess in die Heilung oder einen tieferen und/oder freudigeren Lebenssinn. Wir können und sollen unsere meist unbewussten und unkontrollierbaren Gedanken und Emotionen annehmen – aber nicht daran anhaften, wie Echnatiel immer wieder sagt. Genau dort beginnt der reflektierbare Veränderungsprozess für uns alle und in allen Themen. Wenn wir uns bewusst darauf einlassen, was wir im «Verlust» eigentlich «gewinnen könnten», sind wir aktiv auf dem Weg ins Vertrauen und holen uns Schritt um Schritt Freude ins Leben, trotz aller Umstände. Ich weiss, liebe Tanya, du machst das ohnehin, aber vielleicht hilft dieser Kommentar auch anderen Menschen weiter. Alles Liebe für dich und danke für deine Inspiration.

Kommentar von Tanya |

Danke Astrid, das hilft sehr. Eine Anschlussfrage: Neben dem Bedürfnis, unsere Liebsten glücklich zu sehen, haben wir als Mitbetroffene auch das Bedürfnis etwas zu tun, für die Betroffene aktiv zu werden und für sie Lösungen zu suchen und in die Wege zu leiten. Echnatiel sagt, wir sollen eben keine Lösungsansätze bringen, sondern nur aus dem Herzen heraus unterstützen. Der Drang, Lösungen zu suchen und anzubieten ist aber gross und immer präsent… Wie können wir ihn widerstehen? Müssen wir einfach Vertrauen in die Veränderung haben und "still bleiben" bzw. den "Lösungsdrang" wegschieben? Wo liegt die Grenze bei unserer Unterstützung, im Sinne von wie können wir unterstützen OHNE ins Tun zu kommen und lösungsaktiv zu werden? Auch bei einer fachkundigen Unterstützung geht es eigentlich um mehr als nur mit Verständis und Liebe da sein. Wenn wir "passiv" bleiben, kommt manchmal der Zweifel hoch, dass wir vielleicht doch etwas hätten machen sollen und nicht einfach passiv zuschauen. Vielleicht ist es eine Übungssache wahrzunehmen, was sind die aktuellen Bedürfnisse des Betroffenen und immer wieder punktuell den Mittelweg zu finden zwischen passiv bleiben (= nicht intervenieren oder Lösungen vorschlagen und "einfach" mit Liebe und Verständnis da sein) und aktiv unterstützen, wenn der Betroffene das Bedürfnis äussert bzw. uns um unsere konkrete Hilfe bittet. Danke im Voraus für deine weise Antwort, liebe Astrid!

Antwort von Astrid Spirig

Der Punkt ist, dass die Betroffenen bestimmen sollen, was sie brauchen und gerade hilfreich ist, weil dies jeden Tag ändern kann. Lösungen zur Heilung und Entscheidungen kommen von innen.  Werden sie zum falschen Zeitpunkt von aussen präsentiert, erzeugen sie Druck, Schuldgefühle und schwächen die Betroffenen. Zudem ist jede schwere Erkrankung, auf welcher Ebene auch immer, eine Aufforderung, die Priorität auf sich selbst zu richten und zu lernen, aktiv um Unterstützung zu bitten, dort, wo es sinnvoll und hilfreich ist.

Das Umfeld kann z.B. in anderen Bereichen ins Handeln kommen und unterstützen, damit Platz frei wird für diesen Prozess. Von Einkäufen bis zu "Alternativen googeln und ausdrucken" - aber eben nicht ungefragt und auch nicht mit Hinweisen versehen, was die Betroffenen nun "tun" sollten. Auch das Aushalten in einer Situation, wo handeln oder entscheiden noch verfrüht sind, gilt es zu lernen für das liebende Umfeld.

Ich würde es so zusammenfassen:

Liebe, Freude-Inseln und Verständnis sind immer fördernd.
Für aktiv-handelnde Unterstützung immer fragen: Wie kann ich mehr für dich tun? Würde es dir helfen, wenn ich...

Und - ganz wichtig - den eigenen Prozess nicht vernachlässigen! Was macht diese Ohnmacht und Angst um diese geliebte Person mit dir? Bei jeder schweren Erkrankung zeigt sich auch das Gespenst der "Endlichkeit" und sollte nicht durch Aktivismus verdrängt werden. Manchmal gelingt es Betroffenen wie dem liebenden Umfeld sogar tatsächlich, ohne Sofortlösungen, über diese beidseitigen Ängste zu sprechen. Ohne Eiertanz, im gemeinsamen Wachsen - das grösste Geschenk unter Liebenden.

Kommentar von Tanya |

Danke Astrid!

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